Hätte das Ruhrgebiet seine Forderungen nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt und auch deutlicher artikulieren müssen?
Ein zentraler Punkt war die Entwicklung von Zukunftsperspektiven für hochqualifizierte Arbeitsplätze. Wo Arbeitsplätze in den Kraftwerken und im Braunkohletagebau oder in deren Umfeld wegfallen, müssen in gleichem Maße qualifizierte, möglichst tariflich abgesicherte Jobs neu entstehen. Daher sieht der Abschlussbericht auch Strukturhilfen für die Steinkohlekraftwerksstandorte vor.
In der Nachbetrachtung verfestigt sich der Eindruck, dass es Kompensationslösungen für Tagebaue und Braunkohlekraftwerke geben wird, aber Betreiber von Steinkohlekraftwerken sich selbst überlassen bleiben …
Dieser Eindruck trügt. Wenn der Gesetzgeber die Reduzierung der Kohleverstromung – die durch Emissionshandel und Zubau erneuerbarer Energien ohnehin erfolgt – beschleunigen möchte, muss eine Kompensation gezahlt werden. Dies war für mich Verhandlungsgrundlage. Der Abschlussbericht stellt auf Drängen der Branche hin klar, dass die Verhandlungen mit den Kraftwerksbetreibern Regelungen über Entschädigungen enthalten müssen. Die Höhe legt nicht die Kommission fest, den Grundsatz aber sehr wohl.
Wie kann eine solche Entschädigung für die Betreiber von Steinkohlekraftwerken aussehen?
Stilllegungen sollen nur im Einvernehmen mit den Kraftwerkseigentümern erfolgen. Hier gibt es verschiedene Optionen. Eine Stilllegungsprämie oder ein Umstellungsbonus nach dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz muss so attraktiv ausgestaltet sein, dass sich ein Kraftwerkseigentümer für eine Stilllegung entscheidet. Das wird eine besondere Herausforderung sein, sollte die Höhe der Stilllegungsprämie über eine Auktion ermittelt werden. Gleichwohl hält die Kommission auch eine Anlehnung der Entschädigungsleistung an die Formel der Sicherheitsbereitschaft für denkbar.
2022 soll das letzte Kernkraftwerk vom Netz gehen, zeitgleich sollen Braun- und Kohlekraftwerke mit einer Leistung von über zwölf Gigawatt (GW) abgeschaltet werden. 2030 sollen noch höchstens neun GW Braunkohle und acht GW Steinkohle am Netz sein – kann unter diesen Bedingungen wirklich Versorgungssicherheit garantiert werden?
Versorgungssicherheit spielt für den Wirtschaftsstandort Deutschland die zentrale Rolle: Rund um die Uhr „Strom aus der Steckdose“ und eine sichere Wärmeversorgung, die Kernkompetenz von Stadtwerken, das ist Daseinsvorsorge. Die Entwicklung der Erzeugungskapazitäten wird künftig genauer bewertet werden müssen. Die Kommission ist dem VKU-Vorschlag gefolgt und empfiehlt die Weiterentwicklung des Versorgungssicherheits-Monitorings, um Energieversorgungssicherheit künftig risikoorientiert, bedarfsgerecht und kontinuierlich zu analysieren.
Muss sich die deutsche Industrie angesichts sinkender Erzeugungskapazitäten im Inland darauf einstellen, in Zukunft stark abhängig von Stromimporten zu werden?
Es geht hierbei ja um die Reduzierung gesicherter Leistung. Wenn wir die abfangen möchten, brauchen wir neue Erzeugungsanlagen in Deutschland. Die Szenarien der Bundesnetzagentur zeigen, dass wir bis 2030 einen Zubau von bis zu zehn GW an Gaskraftwerken brauchen. Es drohen sonst erhebliche Engpässe. Im Bau oder in der Planung sind lediglich 2,2 GW. Gasbetriebene KWK-Anlagen sind von essenzieller Bedeutung für die Versorgungssicherheit. Wesentlich ist daher die Empfehlung der Kommission, die Förderung für Kraft-Wärme- Kopplung zu verlängern und attraktiver auszugestalten.
Ist die von der WSB-Kommission empfohlene Revisionsklausel ausreichend, um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen, oder sollte es weitere Revisionszeitpunkte geben?
Um das Kapitel zum Monitoring wurde bis in die letzte Verhandlungsnacht hinein intensiv gerungen. Wir empfehlen nun, in den Jahren 2023, 2026 und 2029 umfassend die Umsetzung der Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf Klimaschutz, Versorgungssicherheit, Stromkosten und regionale Entwicklung und Beschäftigung zu bilanzieren. Im Jahr 2032 wird es einen weiteren Haltepunkt geben, um zu prüfen, ob die Annahmen, unter denen 2038 als Abschlussdatum festgelegt wurde, noch tragen. Das ist ein sinnvoller Ansatz.
Bis 2022 wird der Energiesektor seinen CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 45 Prozent gesenkt haben, Verkehr und Immobilienwirtschaft hingegen liegen mit ihren Bemühungen weit zurück – sollten im geplanten Klimaschutzgesetz entsprechende Richtwerte für diese Sektoren verankert werden?
Der Energiesektor hat geliefert, sogar über seine Verpfl ichtung hinaus. Nun müssen der Wärme- und Verkehrssektor nachziehen. Statt starre Vorgaben für einzelne Sektoren zu machen, Strafzahlungen anzudrohen und sich in einem „klimapolitischen Kleingedruckten“ zu verlieren, brauchen wir einen Ordnungsrahmen, der aufzeigt, wie sich Klimaschutz mit Blick auf politisch, ökonomisch und sozial vertretbare Kosten realisieren lässt. Hier erwarte ich von der Politik Mut und Kreativität, um innovative und klimafreundliche Technologien zu fördern.